Sonderseite - Studie 2023
Warum die technische Richtlinie VDI 2077/3.5 für Einrohrheizanlagen mit oberer Verteilung (häufig bei DDR-Plattenbauten) oft nicht angewendet werden kann.
Die VDI 2077/3.5 bleibt umstritten. Schon nach der Veröffentlichung im Jahre 2005 des Beiblatts der VDI 2077 (Provisorium) gab es Zweifel an der Allgemeingültigkeit der Richtlinie für Einrohrheizanlagen und ihrer Anwendbarkeit in der Praxis. Die sehr verschiedenen Konstruktionen und Ausführungen von Einrohrheizanlagen stehen der vereinfachenden Fassung der Richtlinie entgegen. Auch in der letzten Version 3.5 haben die bekannten Feststellungen nichts an Bedeutung verloren. Gleich am Beginn der Richtlinie wird ein gravierender Mangel sichtbar.
Einrohrheizung ist nun mal nicht gleich Einrohrheizung.
Meines Wissens gibt es keine Erhebung über die Verbreitung von Einrohrheizanlagen. Es ist aber davon auszugehen, dass besonders bei ostdeutschen Plattenbauten mit Einrohrheizungen und oberer Verteilung diese Konstruktionen massenhaft vorkommen. Schätzungen gehen von mindestens 700 - 800 Tausend Wohneinheiten aus. Die Probleme finden sich in den verschiedenen Ausführungen der Anlagenbauweise, für die die VDI 2077/3.5 nur bedingt oder gar nicht anwendbar ist.
Doch was ist nun die o. g. heftig kritisierte Unzulänglichkeit der Richtlinie bei den Fachleuten? So wäre in der Einleitung bzw. gleich zu Beginn der Richtlinie ein wichtiger und deutlicher Hinweis erforderlich, vor der Anwendung einen „Hardware-Check“ durch einen anerkannten und zugelassenen Sachverständigen zu veranlassen, ob die VDI 2077/3.5 bei der betreffenden Heizungsanlage anwendbar ist. Kommt der Begutachter in seiner Analyse zu dem Ergebnis, dass es sich um eine vertikale Einrohrheizung mit oberer Verteilung handelt, kann man sich viel Ärger, Diskussionen und Rechnerei mit Verwaltern, Mietern und Wohnungseigentümern ersparen.
Leider ist eine Anlagenprüfung meist nicht geschehen und die Richtlinie ist oftmals hektisch, aus Angst vor Klagen, eingeführt worden. Die VDI-Richtlinie hinterlässt jedoch den Eindruck, eine universelle Lösung für die Rohrwärmeerfassung bei der Verbrauchsermittlung und Berechnung zu sein.
Problem 1 – Unkontrollierte Wärmeabgabe durch Ablüftung und nicht erfassten Wärmeentzug.
Dieses Problem ist als einziges in der VDI 2077/3.5 kurz beschrieben. Die Autoren der Richtlinie räumen darin ein, in einem fast versteckten Hinweis auf Seite 25 in einer Anmerkung zum Schluss des Kapitels 6, dass die Formeln 30 und 31 bei nicht isolierten Rohren nicht angewendet werden sollen. In bestimmten Fällen muss u. U. die übermäßige Wärme wegen Überhitzung über die Fenster abgelüftet werden. Dies gilt für alle Räume mit dem Vorlaufrohr. Die Verfasser der VDI 2077/3.5 ignorierten aber das Problem des nichtisolierten Vorlaufrohrs. Es geht um die aufsteigende Hauptleitung. Diese ist meist nicht gedämmt, also ohne wärmeisolierende Umhüllung. Das durch alle Etagen laufende Vorlaufrohr, manchmal auch ZVR genannt, beheizt so die entsprechenden Räume, ohne dass die Wärmeabgabe erfasst wird (Bild 1 am Ende des Textes). Jeder dieser Räume gilt als zwangsbeheizt, also nicht regulierbar. Der sich ständig durch die erhebliche Ablüftung veränderte Wärmeverlust für die Gemeinschaft der Hausbewohner, denn alle bezahlen ja den Wärmeverlust, ist nicht messbar und kann so nicht als Geldwert bestimmt werden. Während das Vorlaufrohr mit der unkontrollierten Wärmeabgabe die betroffenen Wohnungen beheizt (z. B. 5 von 30 Wohnungen, je nach Typ des Gebäudes), ist das Lüften durch überschüssige Rohrwärme in normalen Wohnungen vergleichsweise
sehr gering. Da die gesamte Wärmelieferung für das Gebäude am Eingang des Objekts ermittelt und von allen Wohnungsnutzern bezahlt wird (wenn auch zu unterschiedlichen Anteilen), ist es doch das Geld aller, was quasi „zum Fenster rausgeschmissen“ wird.
Damit ist das Bilanzverfahren nicht brauchbar.
Doch es gibt neben den o. g. Ablüftungsfragen weitere Problemlagen bei Einrohrheizanlagen. Hier einige weitere Beispiele, weshalb man die VDI 2077/3.5 mit Vorsicht betrachten sollte bzw. nicht anwenden darf, da sonst Abrechnungsfehler garantiert sind.
Problem 2 - Kombinierte Heizanlagen
Die sogenannten DDR-Plattenbauten sind oft mit einer vertikalen Einrohrheizanlage mit oberer Verteilung ausgestattet. Es sei denn, die Anlage ist auf eine Zweirohrheizung umgerüstet worden. Die Einrohranlagen beginnt an der Übergabestation von Fernheizungen oder der örtlichen Wärmeerzeugung (z. B. Kessel, Blockheizwerk u.a.). Eine Hauptleitung (Vorlaufrohr) führt dann nach oben durch die betroffenen Wohnungen in allen Etagen bis zum Dachboden. Dort geht diese Hauptleitung horizontal weiter und wird aufgeteilt. Deshalb obere Verteilung genannt. Von dieser oberen Verteilung im Dachboden wird das ankommende Heißwasser auf die einzelnen senkrechten Rohrstränge verteilt. Von dort führen die Rohrstränge nach unten durch die einzelnen Räume der Etagen zu den jeweiligen Heizkörpern, wo am HKV erstmals der individuelle Wärmeverbrauch des Heizkörpers ermittelt wird. (Die Summe aller HKV ergibt den Gesamtverbrauch der Wohnung und die Summe aller Wohnungsverbräuche den erfassten Gesamtverbrauch.) Letztlich werden die Rohrleitungen zum Rücklauf geführt. In jeder Etage wird für den dortigen Heizkörper die gewünschte Wärmemenge (Heizwasser) abgegriffen. Hier entsteht oft ein Problem. Je mehr die oberen Etagen dem heißen Heizwasser Wärme entziehen, also die Heizkörper aufgedreht werden, umso weniger bzw. nicht ausreichende Wärme kommt in den unteren Etagen an, was sich aber besonders bei der Rohrwärme bemerkbar macht. Eine annäherde Hardwarelösung bilden die größten Räume der übereinander liegenden Wohnungen in den Etagen. Meist ist dies das Wohnzimmer der Wohnung, wo auch i. d. R. der meiste Wärmeverbrauch entsteht. Wie in den Grafiken 2 und 3 ( reales Beispiel am Textende), sind nur die oberen Etagen, hier das 5. OG. bis 2. OG als Einrohranlage ausgeführt. In der untersten Etage (Erdgeschoss auch als 1. OG bezeichnet) ist der Heizkörper nach dem Prinzip einer Zweirohrheizung bzw. Einzelheizung ausgeführt, also ohne Kurzschlussstrecke. Das bedeutet, dass ein separater Heizrohrstrang vom Vorlaufrohr und der Verteilung im Dachgeschoss durch die vier oberen Etagen zum Erdgeschoss geführt wird, ohne einen Heizkörper zu bedienen. Erst der Heizkörper im Erdgeschoss wird so direkt mit frischem, heißem Wasser versorgt. Der Grund ist einfach: Um den letzten Heizkörper im Erdgeschoss auch noch mit ausreichender Wärme zu versorgen und der Kellerkälte in der Heizperiode entgegen zu wirken, wurde diese Hardwarelösung gewählt. Stellt sich noch die Frage, warum aber im Erdgeschoss der Heizkörper nach dem Zweirohrprinzip arbeitet? Diese Lösung schützt davor, dass bei abgestelltem Heizkörper im Erdgeschoss über eine Kurzschlussbrücke das erhitzte Wasser der separaten Rohrleitung ungenutzt in den Rücklauf gelangt. Das verursacht aber, dass die Etagen 5 – 2 nur dann zusätzliche nicht erfasste Rohrwärme des separaten Rohrs empfangen können, wenn der Heizkörper im Erdgeschoss geöffnet ist. Eine solche Heizanlagen-konstellation kommt bei DDR-Plattenbauweise in fünf- und sechsgeschossigen Objekten, z. B. WBS 70, IW60- und IW70-Serien und vielen anderen, nicht selten vor. Leider gibt es keine genauen Erkenntnisse und Daten über die Verbreitung und Häufigkeit solcher Anlagen. Diese Einbaukonstellation ist vom Materialaufwand beim Bau der Heizung und der Energiebilanz im Betrieb die ökonomischste (sparsamste) Lösung für Einrohrheiz- anlagen, da mit niedrigeren Vorlauftemperaturen gefahren werden kann. Dem steht aber leider entgegen, dass die fernwärmeliefernden Unternehmen heutzutage oftmals zu hohe Vorlauftemperaturen fahren und nur so Mindest- abnahmemengen rabattieren. Es liegt auf der Hand, dass die VDI 2077/3.5 für Kombiheizanlagen keine praktikable Lösung zur Rohrwärmeermittlung und Berechnung anbieten kann.
Problem 3 - Giebelheizungen
Im Bilanzverfahren der VDI 2077/3.5 gehen die Autoren davon aus, dass die Hardwareausstattung betr. der Rohrleitungen bei Einrohrheizanlagen in allen Räumen der Wohneinheiten des Objektes weitestgehend gleich ist und eine bedingte, vergleichende Verhältnisrechnung ermöglicht. Die Raumanzahl wird über eine Flächen-verhältnisformel differenziert. Wenn aber in dem Haus mit übereinander liegenden Wohnungen gleicher Größe nur in einigen Wohnungen ein zusätzlicher Heizkörper mit einer zusätzlichen Rohrleitung vorhanden ist, funktioniert das Rechenmodell Bilanzverfahren nicht mehr. Eine solche Konstellation gibt es z. B. in fast allen DDR-Plattenhäusern, wo die Giebelwohnungen nicht isoliert waren und deshalb mit zusätzlicher Hardware, einem Heizkörper und einem Verteilerrohr, konstruiert und ausgestattet wurden. Heute, wo die meisten Hausgiebelwände äußerlich gedämmt sind, sind jedoch die zusätzlichen Hardwarekomponenten weiter in Betrieb. Es versteht sich, dass auch hier das Bilanzverfahren der VDI 2077/3.5 nicht zur Anwendung kommen kann. Es gibt jedoch weitere Problemlagen bei der Abrechnung des Wärmeverbrauchs (z. B. Wärmerückführung u. a.), die hier aber erst einmal vernachlässigt werden. Weitere Informationen gibt es auf der Webseite: VDI 2077/3.5-nein-danke.
Was bleibt für die Anwendung der Richtlinie VDI 2077/3.5 bei den Plattenbauten aus DDR-Zeit mit Einrohrheizanlagen und oberer Verteilung?
Es wurde bereits am Anfang des Artikels schon darauf hingewiesen. Ohne einen Hardware Check durch einen zugelassen Heizungsfachmann, der die VDI 2077/3.5 im Detail kennt, sollte man die Richtlinien nicht anwenden. Es geht nicht nur pauschal um die Rohrwärmeermittlung, sondern auch um die Eignung der Konstruktion der Heizungsanlage. Letztes ist dabei entscheidend. Schließlich geht es um richtige und gerechte Kostenabrechnung und damit um das Geld der Mieter und Eigner der Wohnungen.
Die praktische Eignung der Anlage für die Anwendung, der doch sehr theoretischen Richtlinie, sollte durch den o. g. Fachmann dokumentiert und vor ihrer Anwendung bestätigt werden.
Eine Entscheidung über die Verwendung der VDI 2077/3.5 oder anderer Verfahren, wie z. B. Rohrwärmeermittlungen mittels zusätzlicher HKV, Teil- oder Vollisolierung der Rohre u. a. sollten auch unter energiepolitischen Gesichtspunkten diskutiert und entschieden werden.
Zweifellos ist die Vollisolierung aller Heizungsrohre die beste aller Lösungen. Neben der Abrechnungs-genauigkeit kann es bei gewissenhafter Ausführung bis zu 20 % Energieeinsparung bringen.
Damit erübrigt sich dann die umstrittene VDI 2077/3.5.
Ein Beitrag von Ing.-Ök. Rainer Danneberg
Bild 1 - Problem Vorlaufrohr und VDI 2077/3.5 Grafik: Gerhard Helbig
Bild 2 - Problen Kombiheizung und VDI 2077/3.5
Bild 3 - Vereinfachte Darstellung von Bild 2
Mal etwas anders betrachtet
und mit Genehmigung des Autors R. Rolf
Kolumne aus Ostdeutsche Webzeitung Ausgabe: März 2019
Wer kann mir denn die Frage beantworten? Ach ja, ich bin der Rolli.
Haben Sie schon mal etwas mit der VDI 2077 zu tun gehabt?
Nun ja, mich beschäftigt diese sogenannte Richtlinie schon sehr. Denn mein Vermieter berechnet meine Heizkostenabrechnung nicht nur nach der Heizkostenverordnung 30/70, sondern noch anschließend mit dieser VDI 2077.
Was die HeizkostenV angeht, ist alles klar, 30% nach Fläche und 70% nach Verbrauch, also was die kleinen Dinger, die Heizkostenverteiler anzeigen. Das ergibt Einheiten und eine Einheit gleich einer Kilowattstunde, da die Basisempfindlichkeit bei meinen Ablesegeräten nun mal 1 ist. Ja, ja – hab´ ich schön gelernt, was?
Die Summe all meiner Ablesegeräte ergibt dann den Gesamtverbrauch in Kilowattstunden der Wohnung in einem Ablesejahr. Die Geräte werden anschließend wieder genullt und für das nächste Jahre wieder fit gemacht. Wie praktisch. Nun muss ich nur noch die Summen meiner Einheiten mit dem Preis einer Kilowattstunde multiplizieren und ich habe den Gesamtpreis für die 70% Verbrauch. Plus der errechneten 30% und ich habe den Endpreis für meinen Wärmeverbrauch über die Heizanlage für das ganze letzte Jahr.
Das ist wirklich nicht schwer und ich denke, das kann jeder, der mal zur Schule ging.
Doch jetzt kommt diese VDI 2077/3.5 dazu. WOW! Die Bezeichnung 3.5 oder besser Blatt 3.5 ist wichtig, wie ich inzwischen weiß, denn es gibt meines Wissens vier verschiedene VDI 2077-Berechnungsziele. Blatt 3.5 soll für die Rohrwärme angewandt werden, sagt mein Vermieter. Ich habe in dieses Ding geguckt wie das "Schw… ins Uhrwerk". Sie kennen bestimmt den Spruch.
Ich will mal glauben, dass die Vorberechnungen, wie Erfassungsrate, den Anteil der Niedrigverbraucher, Gesamtkorrektureinheiten (Grundverbrauch), Flächenaufteilung usw. in der Heizkostenabrechnung stimmen.
Danach wird also der errechnete Gesamtgrundverbrauch in Form von Einheiten auf alle dreißig Mieter verteilt. Da es bei uns nur zwei Wohnungsgrößen gibt, gibt es also auch nur zwei Korrektureinheitensockel, nennt mein Vermieter das wohl und der Korrektureinheitensockel ist dann für alle unsere Dreiraumwohnungen oder Vierraumwohnungen identisch. Dazu werden die Verbrauchseinheiten (Summe aller abgelesenen Einheiten) meiner Wohnung dazu addiert. Dieses Ergebnis wird wiederum mit dem Preis der Kilowattstunde multipliziert - Hopps, schon hat man das Ergebnis der korrigierten (70%)-Rechnung in Heller und Pfennig.
Ach´nee - jetzt fangen die Probleme erst an.
Als ich neulich bei einem Mitbewohner im gleichen Haus war, der die gleiche Dreiraumwohnung hat wie ich, fiel mir auf, dass er in dem einen Zimmer einen Heizkörper und natürlich auch ein Heizungsrohr mehr, also zusätzlich hat als ich. Mmmmh?
Es war ein Leichtes festzustellen, dass alle übereinanderliegenden Wohnungen der fünf Etagen an diesem Strang hängen. Wir haben nämlich eine obere Verteilung, sagt mein Vermieter und da gehen die Rohre von oben nach unten…na ja, nur das Heizwasser.
So ging mir plötzlich ein Licht auf. Das sind ja nur die äußeren Wohnungen unseres Hauses, die sogenannten Giebelwohneinheiten….. und davon hat unser Haus nun mal 10 ……und 20 Wohnungen haben kein solches Rohr.
Nein, nur 10 Wohnungen von Dreißig - klar doch. Wow!
Ja, ich hab´ keins, obwohl ich genauso viel Korrektureinheiten bezahlen muss, wie die mit Rohr - ist eben doch ungerecht, diese Abrechnung.
Nun habe ich eine Frage?
Warum werde ich mit genauso vielen Rohrwärmekorrektureinheiten bedacht, wie mein Nachbarn in einer Giebelwohnung mit einem zusätzlichen Heizrohr? Die 10 Giebelwohnungen bekommen doch durch das Zusatzrohr viel mehr Rohrwärme ab als ich. Das verstehe ich nicht und die anderen Mieter ohne solch ein Zusatzrohr auch nicht.
Was glauben Sie, wen ich alles schon befragt und angeschrieben habe. Achselzucken und Schweigen ist die Antwort – doch das hilft mir auch nicht weiter. Schade, ich dachte, es soll um eine gerechte Umverteilung der Rohrwärme und damit der Heizkosten gehen.
Tschüss, Euer Rolli